
Gütersloh. Uns geht es noch gut, aber Europa steckt tief in der Krise. In der EU sind mehr als 6 Mio. junge Menschen arbeitslos. Viele wissen nicht weiter, Sprachlosigkeit macht sich breit – und genau diese Tristesse gilt es für Prof. Dr. Oskar Negt zu überwinden: „Weil das Alte jetzt nicht mehr uneingeschränkt gilt, müssen wir das Befreiungspotenzial der Krise nutzen“, sagte der bekannte Philosoph und Soziologe, nachdem Klaus Brandner, ehemaliger SPD-Abgeordneter und langjähriger IG Metall-Bevollmächtigter, ihn im Namen des SPD-Ortsvereins Gütersloh und der rund 80 anwesenden Gäste begrüßt hatte.
Für Negt ist die derzeitige Situation dadurch gekennzeichnet, dass „Reichtum zu einem Problem wird“. Die Finanzmärkte hätten sich immer stärker von der Realwirtschaft abgekoppelt. Teilweise seien nur noch 3 Prozent der gehandelten Papiere auch an real vorhandene Werte gebunden. In dieser Entfremdung sieht der 79-Jährige eine wesentliche Grundlage für die ökonomische Krise, die momentan weite Teile Europas heimsucht.
Der SPD gab er den Rat, die Probleme bei der Wurzel zu packen und Utopien für eine bessere Gesellschaft aufzuzeigen. Ziel müsse es sein, drei Entwicklungen umzukehren: Die zunehmende Polarisierung in allen Bereichen, die überall um sich greifende Flexibilisierung und die Verarmung ganzer Gesellschaftsteile hätten eine großes Zerstörungspotenzial. Die SPD müsse Alternativen zu diesen Trends entwickeln. Falls es zu einer Großen Koalition komme, solle die Partei auch erste Taten folgen lassen.
Die Antworten für viele Probleme findet Negt „in der Ausgestaltung des Sozialstaats“. Hierin sieht er die besten Gegenmittel gegen Faschismus und Gewalt. Denn: „Demokratie ist nur haltbar, wenn die Menschen nicht dauerhaft in Überlebenskämpfe verwickelt werden.“
Negt selbst ist kein Mitglied der SPD, aber sei „der der Partei immer loyaler gewesen, als so mancher früherer Spitzengenosse.“ Der emeritierte Professor der Leibnitz-Universität Hannover ist einer der bekanntesten Vertreter der Frankfurter Schule: Einer gesellschaftskritischen Ausrichtung der Soziologie, die unter anderem auf Negts akademischen Lehrer Theodor W. Adorno zurückgeht. Negts Vater Emil Negt kam nach dem Zweiten Weltkrieg als Flüchtling nach Gütersloh und vertrat die SPD in den 60er Jahren im Stadtrat.